Bericht im Tagesspiegel vom 02.11.1998

BERLIN. Musik liegt in der Luft. Wer den Berliner Klavier- und Cembalobauer Goecke und Farenholtz in den Hinterhöfen der Prenzlauer Allee 36 sucht, muss nur den Klängen des Klaviers folgen. Im Erdgeschoß des vierten Hinterhofs hat sich der Meisterbetrieb in engen, sonnendurchfluteten Räumen niedergelassen. Dicht gedrängt stehen in der Werkstatt Ruinen ausgeschlachteter Flügel und Klaviere. Es riecht nach Holz und Leim.

"Wir haben uns einen Traum erfüllt", sagt Christophorus Goecke. Vor fünf Jahren stiegen er und Bernhard Farenholtz beim renommierten, aber damals finanziell angeschlagenen Klavierbauer Bechstein aus, kündigten den Job, um den Sprung in die Selbständigkeit zu wagen. "Das hat uns niemand zugetraut", bemerkt Farenholtz. "Alle haben gedacht, wir verlassen Berlin." Aber Goecke und Farenholtz dachten nicht daran. "Akribisch, fast penibel" habe man sich auf die Existenzgründung vorbereitet und die Mitte Berlins als Standort gewählt, "weil uns die Stimmung im Kiez stimuliert hat". Dass sich die Klavierbauer-Konkurrenz vor allem im Westen Berlins tummelte und der junge Betrieb im Osten besser gefördert werden konnte, ermunterte die beiden Handwerksmeister zusätzlich. "Wir mussten aus dem langen Schatten von Bechstein heraus", sagt Christophorus Goecke. "Und das ist uns hier gelungen."

Wenn die beiden Klavierbaumeister den "steinigen Weg aller Existenzgründer" beschreiben, kommen schnell die zeitraubenden Verhandlungen mit den Banken zur Sprache. "Fassungslos" habe der Berater der Hausbank auf das Gründungsvorhaben reagiert, "emotional und aus dem Bauch heraus." Da half den Unternehmern wenig, dass ihr Konzept das Gütesiegel der Handwerkskammer trug. Erst über private Kontakte zur Bank für kleine und mittlere Unternehmen (BKMU) kam das Projekt voran. Goeckes Ehefrau Andrea besuchte betriebswirtschaftliche Seminare der Bank und fand kompetente Ansprechpartner. Schließlich stand mit Unterstützung der Bürgschaftsbank die Finanzierung.

800 Kunden, elf Beschäftigte und von Jahr zu Jahr steigende Umsätze - fünf Jahre nach der Gründung floriert die Meisterwerkstatt. Eines der Zauberworte des Erfolgs heißt Arbeitsteilung: Bernhard Farenholtz ist für den "guten Ton" zuständig, im Außendienst sorgt er sich um Klang und Stimme der Tasteninstrumente. Christophorus Goecke hält unterdessen als "Manager" in der Werkstatt die Fäden des Betriebs zusammen. Die Aufteilung der Zuständigkeiten hat von Anfang an funktioniert. Sie musste funktionieren, weil die beiden Klavierbauer eine wertvolle Erbschaft antraten: Einem betagten Klavierbaumeister hatten die Ex-Bechstein-Meister die Kundenkartei abgekauft. 500 Klavier- und Flügelbesitzer - "sensible Naturen", wie Goecke weiß, die argwöhnisch den Generationswechsel beobachteten. "Die Kartei war unser Joker, aber zugleich eine Verpflichtung zur Qualität", erklärt Farenholtz. Zunächst habe man alle Kunden auf druckfrischem Geschäftspapier angeschrieben, "um die Kontakte zu pflegen". Dann war Farenholtz schon bald im Außendienst unterwegs, um die ersten Instrumente unter die Lupe zu nehmen. "Ein besonders misstrauischer Kunde hat anfangs sogar einen Stimmer zur Kontrolle geschickt", erinnert er sich. "Eine kalte Dusche" für den erfahrenen Handwerker.

Das Misstrauen der Kunden legte sich schnell. Es sprach sich herum, dass in der Meisterwerkstatt Goecke und Farenholtz Profis am Werke waren. Die "Mundpropaganda" kam in Gang und öffnete den Jung-Unternehmern Türen. Neben den Privatkunden stehen jetzt auch Hochschulen, Konzert- und Opernhäuser sowie Museen in ihrer Kartei. Während betuchte Sammler und passionierte Hobby-Musiker erwarteten, dass man ihren Flügel wie ein Familienmitglied behandele, seien Großkunden an Zuverlässigkeit, Service und historischer Bildung interessiert. Denn: "Manches Stück ist so alt und wertvoll, dass es nicht mehr bespielbar ist, sondern nur noch museal erhalten werden muss." Da habe man auch schon einmal Aufträge ablehnen müssen, wenn Kunden ihr Museumsstück auf Biegen und Brechen neuwertig zum Klingen bringen wollten. Die Meister machen den feinen Unterschied zwischen Reparatur und Restaurierung. "Unsere Spezialität ist die Gratwanderung zwischen musealer Erhaltung und Spielbarmachung", beschreibt es Christophorus Goecke. Teuerstes Stück in der Sammlung ist ein Original-Flügel Clara Schumanns, den Goecke und Farenholtz für 35.000 DM denkmalpflegerisch restauriert haben.

Ein neuer Konzertflügel der Spitzenklasse - ein Bösenorfer Imperial etwa - kann bei Goecke und Farenholtz für runde 177.000 DM erworben werden. "Ein gebrauchtes Klavier europäischer Hersteller ist aber auch schon für 3.000 DM zu haben", beruhigen die Meister. Reparaturen und Restaurierungen bewegen sich in einer Preisspanne von 100 bis 40.000 DM. Neben der Werkstatt, im "Schatzraum" von Goecke und Farenholtz, stehen die teuren Stücke. Im Verkaufssalon wird regelmäßig Platz geschaffen für Konzerte. "Dann erwecken wir die Werkstatt musikalisch zum Leben." Die mitunter kostspielige Tradition des Klavier- und Cembalo-Baus wollen Goecke und Farenholtz fortführen, einen immer größeren Anteil am Geschäft hat inzwischen der Handel. Die Kunden sind da, "ein Klavier ist eine Anschaffung fürs Leben". Mit fünf Facharbeitern, drei Auszubildenden und drei Angestellten, die sich um die Verwaltung kümmern, stößt der Betrieb an die Kapazitätsgrenze. Fünf bis sechs Instrumente werden pro Tag in Augenschein genommen, das sind 1.400 Aufträge im Jahr. Dazu kommen noch 30 bis 40 Großaufträge. Aber Goecke und Farenholtz zögern mit der Expansion: "Wir wollen kein Instrumenten-Discount werden." Klavierbau sei wie ein Zahnarztbesuch: Je größer die Praxis, desto unpersönlicher die Behandlung.